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Hilfe, mein Handy petzt! Teil 3: Beschleunigungssensoren

Hilfe, mein Handy petzt! Teil 3: Beschleunigungssensoren

Smartphones sind aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. 95 % der Bürger:Innen in Deutschland besitzen eines. Je mehr wir sie für Social Media, Shopping etc. nutzen, desto mehr durchleuchten sie unser Verhalten. In dieser Blogserie beschäftigen wir uns mit den in modernen Smartphones verbauten Technologien, welche Informationen sie über uns sammeln und welche Gefahren sie für unsere Privatsphäre darstellen. Wir konzentrieren uns dabei besonders auf Trackingmöglichkeiten, da dies Rückschlüsse auf unser Verhalten, Kontakte, Beruf und Hobbys ermöglichen.

In den vorigen beiden Blogeinträgen haben wir uns mit Positionsbestimmung über Funk und über Mikrofone beschäftigt. Im dritten Teil soll es um eine Möglichkeit gehen, die sehr viel weniger von äußeren Signalen abhängt.

Navigation mit Trägheit

Wer sich ein wenig mit Luft- oder Raumfahrt beschäftigt, ist möglicherweise schon einmal über den Begriff der Trägheitsnavigation, oder inertial navigation, gestolpert. Damit beschreibt man ein System, dass Bewegungen anhand von Beschleunigungskräften ermittelt. Anders gesagt: Wenn ein Fahrzeug beschleunigt, wirken Kräfte. Diese Kräfte können gemessen und in eine zurückgelegte Strecke umgerechnet werden. In Flugzeugen kommen Trägheitsnavigationssysteme (Inertial Navigation System INS) neben GPS zur Positionsbestimmung zum Einsatz. Zu Beginn des Fluges wird die Startposition und -orientieren des Flugzeuges in das INS eingegeben. Dieses misst kontinuierlich auftretende Beschleunigungen und kann so feststellen, ob die Maschine beschleunigt oder gebremst hat, gestiegen oder gesunken ist und ob sie Kurven geflogen ist. Das Flugzeug weiß so im Prinzip ohne Informationen von außen immer, wo es sich befindet, sofern es seine Startposition kennt. Im Prinzip, weil dies Art von Navigation im Laufe der Zeit an Genauigkeit verliert (drift genannt). Über die Dauer einer Reise muss dieser Fehler ggf. mit einer zweiten Quelle, bspw. GPS-Information, korrigiert werden.

Egal, wie man es dreht und wendet...

Warum ist diese Information jetzt wichtig? Wer schon einmal sein Smartphone von hochkant zu quer oder umgekehrt gedreht hat (also praktisch jede/r), wird festgestellt haben, dass das angezeigte Bild sich anpasst. Das Smartphone kennt also seine Orientierung. Damit das funktioniert, sind auch dort Beschleunigungssensoren, sogenannte Akzelerometer, verbaut. Bewegt ihr das Gerät, treten auch hier Beschleunigungskräfte auf, die gemessen und umgerechnet werden können. Das Smartphone bekommt ohne Information von außen seine Bewegung mit. Und moderne Smartphones sind dabei erstaunlich präzise:

Eine Forschungsgruppe um Gouious et al. hat in einer Studie untersucht, mit welcher Genauigkeit Akzelerometer in Smartphones tatsächlich arbeiten. Dabei verglichen sie drei moderne Geräte (iPhone 12 Pro Max, Samsung Galaxy S21 Ultra, Huawai P Smart) mit einem professionellen Motion Capture Geräte (Vicon MX). Letztere werden für Filme und Videospiele eingesetzt und nehmen die Bewegungen von Schauspieler:innen auf, um sie später auf virtuelle Charaktere zu übertragen. Motion Capture findet aber auch in medizinischen Bereichen Anwendung, um Bewegungen zu analysieren und ggf. zu therapieren. Diese Geräte sind also hochpräzise. In der erwähnten Studie hat die Forschergruppe nachgewiesen, dass aber auch die in modernen Smartphones verbaute Technik professionellem Equipment in Sachen Genauigkeit ziemlich ebenbürtig ist.

Unbemerktes Tracking

Welche Möglichkeiten dies für das Tracking von Individuen eröffnet, wurde in einer weiteren Studie in London untersucht. Die Forscher:innen legten darin verschiedene Strecken mit Taxi, Bus und zu Fuß zurück. Sie lasen danach u.a. die in ihren Smartphones verbauten Beschleunigungssensoren aus. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass ein Tracking von Personen über diese Daten möglich ist. Problematisch daran ist nicht nur diese Tatsache, sondern dass wir auf diese Art der Datensammlung noch weniger Einfluss haben, als ohnehin schon. Denn die in Smartphones verbauten Sensoren werden in zwei Kategorien unterteilt: privilegiert und unprivilegiert. Diese Kategorien geben an, ob eine App, die auf die Sensoren zugreifen möchte, die Zustimmung der Nutzer:innen braucht, oder nicht. Privilegierte Sensoren, dazu gehören GPS, Bluetooth, WiFi, benötigen immer unsere Zustimmung. Beschleunigungssensoren gehören zu den unprivilegierten Sensoren, d.h. auf sie kann zugegriffen werden, ohne dass dem zugestimmt werden muss.

Verfolgung ohne Signal

Zusammengesetzt ergibt sich aus diesen Informationen ein klares Bild: Apps können die Bewegung von Smartphones verfolgen, ohne dass wir das mitbekommen. Konkret kann das bedeuten, dass Tracking selbst dann möglich ist, wenn keine Funksignale, wie GPS oder WiFi vorhanden sind. Aber selbst wenn die Verfolgung über Beschleunigungssensoren über längere Strecken nicht so präzise ist, wie GPS (aufgrund des drifts, s.o.); auch die Art unserer Fortbewegung lässt sich problemlos ermitteln. Abhängig davon, ob wir zu Fuß oder im Auto unterwegs sind, sehen die Sensordaten nämlich anders aus. Wie unterschiedlich genau ist in untenstehendem Bild beispielhaft dargestellt. In Verbindung mit bspw. Tageszeiten, können auch so leicht Rückschlüsse auf unsere Gewohnheiten gezogen werden.

Beispielhafte Darstellung von Akzelerometer-Daten bei zwei Tätigkeiten.
Links: Gehen; rechts: Ankleiden. In Anlehnung an Karas et al.

Fazit

Die Möglichkeiten der Verfolgung von Personen, des Ausspionierens von Bewegungsmustern, Tagesabläufen etc. gehen also weit über das hinaus, was wir vielleicht auf den ersten Blick vor Augen haben. Selbst wenn wir darauf achten, welche Apps wir verwenden, welche Dienste wir aktivieren und welche Zugriffsrechte wir ihnen erteilen. Letztendlich müssen wir davon ausgehen, dass immer ein Minimum an Informationen über uns nach Außen sickert.

 

Feature-Bild von Austin Pacheco auf Unsplash

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